Jetzt in durchgesehener und überarbeiteter Neuauflage!
Der Inhalt in Kürze
Endlich ist der Zweite Weltkrieg zu Ende.
Alliiertes Militär hat das in Trümmer gelegte Großdeutsche Reich besetzt. Adolf Hitler ist spurlos verschwunden. Hermann Göring ist in Palästina gesehen worden. Martin Bormann fordert in Argentinien die Herausgabe des Vermögens der NSDAP.
Die amerikanische Weltraumbehörde verheißt in den nächsten fünf Jahren einen Flug zum Mond. Unterdessen sichtet man überall auf der Erde unbekannte Flugobjekte, die Ähnlichkeit mit fliegenden Scheiben aufweisen. Astronomen entdecken mit Hoheitszeichen des Großdeutschen Reichs gekennzeichnete Raumfahrzeuge auf dem Mond.
Auf Betreiben einer anonymen Macht kehrt Conrad Harras, Ex-Fähnrich der Wehrmacht, der sich 1936 an Bord des Luftschiffs Hindenburg in die Vereinigten Staaten abgesetzt hat, in die Heimat zurück. Sein Auftrag lautet: Eine Filmrolle zu finden, die schon seinen Bruder das Leben kostete und gewissen Kreisen unterschiedlicher Couleur sehr viel bedeutet. Conrad ahnt nicht, wie viele Köpfe während der Suche noch rollen werden.
Doch in der grauenvollen Trümmerlandschaft Hamburgs gerät er in einen Sumpf aus Altnazis, Pornographen und Hütern gefährlicher Geheimnisse …
Wo keine Sonne scheint
ist das Buch, das die Nazis hassen.
Ein antinationalsozialistischer Roman des erfolgreichen Autorenduos Ronald M. Hahn und Horst Pukallus aus dem Jahr 1948.
SITZUNGSBERICHT
ZUR VORLAGE AN DEN FÜHRER
Nach dem Endsieg: Sofortige bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse für das Gebiet des Großdeutschen Reiches sowie sämtliche befreiten, besetzten und annektierten Länder, Protektorate und Gouvernements. Gleichzeitige Proklamierung des Führers zum neuen Messias. Aus taktischen Erwägungen sind der mohammedanische, buddhistische sowie der Shintoglaube von dieser Maßnahme einstweilen auszunehmen.
Der Führer ist als Erlöser und Befreier darzustellen – als Gottgesandter, dem göttliche Ehren zustehen. Sämtliche Kirchen, Kapellen, Tempel und Kultstätten der verschiedenen Religionsbekenntnisse sind in „Adolf Hitler-Weihestätten“ umzuwandeln.
Die theologischen Fakultäten der Universitäten haben sich auf den neuen Glauben umzustellen und besonderes Gewicht auf die Ausbildung von Missionaren und Wanderpredigern zu legen, die im Großdeutschen Reich und der übrigen Welt die Lehre verkünden und Glaubensgemeinschaften gründen, die als Organisationszentren der weiteren Ausbreitung dienen. Damit entfallen die Schwierigkeiten bei der geplanten Aufhebung der Monogamie: Die Polygamie kann problemlos als Glaubenssatz in die neue Lehre eingefügt werden.
Als Vorbild des Gottgesandten kann die Figur des Gralsritters Lohengrin dienen, die keltisch-germanischer Phantasie entsprungen ist und bereits ein gewisses traditionelles Ansehen genießt. (Ähnlich wie die Sagengestalt Wilhelm Tells in der Schweiz seit langem zu einem Symbol geworden ist.)
Durch entsprechende Propaganda muss die Herkunft des Führers noch mehr als bisher verschleiert werden, so wie auch sein künftiger Abgang (Rückkehr in die Gralsburg) spurlos und in vollständiges Dunkel erfolgen muss.
Ohne Durchschlag Streng reservat! Nur für den Führer bestimmt
Eine halbe Stunde nach dem Start betrat Harras die Bar und ließ sich von einem Steward die Spezialität mixen, den LZ 129 Rauhreif, der sich aus wenig Orangensaft und viel Gin zusammensetzte. Anschließend genehmigte er sich im Rauchsalon, den eine Luftschleuse und leichter Überdruck gegen das schleichende Eindringen von Wasserstoff schützte, eine Overstolz; dann kehrte er in die Bar zurück und trank noch einen Rauhreif.
Die Bar war klein, aber ungemein behaglich. Abbildungen von Luftschiffen und Ballons schmückten die goldgelben Wände. Durch in den Boden eingelassene Fenster konnte man zur Erde hinabblicken.
Danach suchte sich Harras einen Fensterplatz im an der Steuerbordseite gelegenen Gesellschaftsraum. Eine Anzahl anderer Fluggäste hatte inzwischen das gleiche getan. Misstrauisch ließ er den Blick durch die Räumlichkeit schweifen.
Obwohl niemand wusste, dass er sich unter falschem Namen an Bord befand, hatte er ein ungutes Gefühl. Die Augen der Hitler-Schergen waren überall – warum also nicht auch hier? Obschon die Flugreisenden alles andere als den Eindruck erweckten, begeisterte Nazis zu sein – man konnte nie wissen, ob beispielsweise Major Witt Pg war und allzu gern jeden Befehl aus Berlin befolgte. Davon abgesehen, galten Luftwaffenoffiziere als bevorzugte Elite der Wehrmacht und hatten schon darum keinen Grund, um sich, selbst wenn es keine militärischen Angelegenheiten betraf, gegen Reichskanzler Hitler zu stellen.
Harras unterhielt sich eine Weile mit einer Frau Köhler und ihren Kindern Wolfgang, Ingrid und Erasmus, die sich an seinen Tisch setzten. Als sie gingen, machte er die Bekanntschaft des amerikanischen Akrobaten Ben Dova, des schwedischen Journalisten Brink und des ebenfalls aus Schweden stammenden Industriellen Von Heidenstam, die sich aber bald mit einem Yale-Studenten und einem aus Chicago stammenden Geschäftsmann zu einer Partie Poker zusammenfand. Später stand Harras für einige Zeit neben einem älteren Gentleman aus London an einem Aussichtsfenster des Promenadendecks und starrte in die Tiefe. Scheinbar endloses Dunkel umgab das Luftschiff.
*
Hier und da, vor Gebäuden, von denen zumindest noch ein, zwei Stockwerke erhalten geblieben waren, gab es lange Warteschlangen; dort befanden sich britische Dienststellen, Wohnungsämter oder Meldestellen. Kein Zutritt ohne Entlausungsschein, las man auf Schildern neben den Eingängen. Andere Reihen Wartender hatten sich an Wasserpumpen, Gulaschkanonen und Zeitungsbuden gebildet.
An Ecken standen Fahrzeuge des Roten Kreuzes. Da und dort sah Harras Panzerspähwagen stehen, entweder zur allgemeinen Abschreckung oder zur Bewachung wichtiger Einrichtungen.
Aushänge an brandgeschwärzten Mauern erregten seine Aufmerksamkeit, jedoch konnte er im Vorbeifahren nur die dicken Überschriften lesen: An die Bevölkerung! hieß es da vielfach, oder: Bekanntmachung. Auf mehreren Plakaten las er: Boykott dem Schwarzen Markt!
So sahen die Zustände aus, in denen jetzt, abhängig von Care-Paketen und mildem Wetter, die vermeintlichen Herrenmenschen leben mussten. Unverdient war ihr Schicksal nicht. Dennoch wusste Harras nicht so recht, ob er Genugtuung empfinden oder sie bedauern sollte. Er beobachtete Rudel unbeaufsichtigter, ausgemergelter Kinder, die durch die Trümmergrundstücke streiften.
»Wir sind da, Sir.«
Harras war regelrecht ins Grübeln geraten, darum schreckte Sergeant Fullers Feststellung ihn jetzt aus seinen Gedanken. Er lugte aus dem Seitenfenster. Soeben fuhr Fuller vorm Hotel Atlantik vor. Sobald er geparkt hatte, schwang sich Harras aus dem Fahrzeug.
Vor dem Gebäude parkten fast ausschließlich Militärfahrzeuge, und statt eines Portiers standen britische Soldaten Posten vor dem Hoteleingang. Davon sowie von der Tatsache abgesehen, dass etliche dick beschriftete Tafeln auf die militärische Nutzung des Gebäudes hinwiesen – darunter der Hinweis No German Civilians -, erinnerte nichts an Kriegszeiten. Falls das Hotel Schäden davongetragen hatte, waren sie behoben worden; und nicht nur das, offenbar hatte man es auch einer gründlichen Verschönerung unterzogen.
Fuller schleppte Harras’ Koffer ins Foyer. Am Empfangsschalter erhielt er von einem grimmigen Veteranen, einem NCO mit Narbenfresse, einen Schlüssel mit der Nummer 210.
Auch innen hatte man alles sehr schmuck hergerichtet. Auf jedem Tischchen gab es Blumen, Porzellanaschenbecher und silberne Tischfeuerzeuge. Harras kam aus dem Staunen nicht heraus, während er durchs Foyer schlenderte und wartete.
Nebenan im Speisesaal saßen britische Offiziere an weißen Damastdecken und vor vollen Schüsseln beim Mittagessen. Harras zählte je Tisch mehr Flaschen Wein, als er anlässlich der letzten Silvesterfeier gesehen hatte. Bedient wurden die Offiziere von jungen Frauen in adretter Kluft.
*
Hinter der vierten Tür fand Harras ein Büro. Er sah einen wuchtigen Schreibtisch, Regale voller dickleibiger Alben, einen Besuchersessel und ein Plüschsofa. An den frisch tapezierten Wänden hingen hinter Glas Brustbilder junger Mädchen. Harras trat näher und betrachtete die Aufnahmen. Er kannte keine der Damen, aber das war nicht verwunderlich: Als er zum zuletzt im Lande gewesen war, hatten sie mit Sicherheit noch die Schule besucht.
Mit dem Colt in der Hand schlich Harras weiter durch die Wohnung. Als er das Ende des Flurs erreicht hatte, ertönte ein Geräusch. Es kam von rechts und ließ sich nicht missdeuten. Leise quietschende Bettfedern. Wenn Karmann doch zu Hause weilte, ging er offenbar gerade seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Das bedeutete: Er war nicht allein.
Harras verharrte und dachte nach. Er kannte Karmann gut genug, um zu wissen, dass er ihn überraschend packen musste. Der Bursche war zwar nicht mutig, aber gerissen. Wenn er die Gelegenheit genutzt und sich an ihrem gemeinsamen Eigentum bereichert hatte, zog er bestimmt alle Register, um sich Harras vom Halse zu schaffen. Die im Flur aufgestapelten Kartons legten den Rückschluss nahe, dass er keine kleine Nummer geblieben war. Karmann hatte einen merklichen Aufstieg hinter sich. Möglicherweise war er damit zu einem Gegner geworden, den man ernst nehmen musste.
Harras kratzte sich mit dem Lauf der Waffe an der Wange. Einerlei, dachte er. Wenn ich ihn mir jetzt nicht vorknöpfe, kann es sein, dass er mir entwischt.
Auf der Tür zu seiner Rechten stand: Atelier. Harras näherte sich ihr auf Zehenspitzen. Er hörte ein verhaltenes Stöhnen. Eindeutig eines Mannes. Er ließ die Waffe sinken und beugte sich zum Schlüsselloch hinab. Sein Blick fiel auf ein neumodisches, mit weißen Laken bezogenes Messingbett und das gefällig rundliche, nackte Hinterteil einer Frau, die nichts als dunkelbraune Nahtstrümpfe und hochhackige, schwarze Schuhe trug. Sie kniete auf allen vieren über dem Unterleib eines Mannes, der die Beine gespreizt hielt.
Harras drückte die Tür auf und stürmte mit dem Colt in der Hand auf das Bett zu. Erschrocken riss Karmann – er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt – die Augen auf. Die schlanke, dunkelblonde Frau, die sich gerade bemühte, ihn mit der Zunge zu reizen, stieß einen Schrei aus. Offensichtlich erlitt auch sie einen Heidenschreck. Karmann fuhr hoch, dabei stieß er seine Gespielin von sich, so dass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte.
»Hab ich dich«, rief Harras. Mit dem letzten Schritt stand er neben Karmann und setzte ihm die Mündung des Colts an die Schläfe. Karmanns Gespielin versuchte verzweifelt, ihre Blöße zu bedecken; sie starrte Harras an wie ein beim Äpfelstehlen ertapptes Kind. Und sie wurde tatsächlich rot. Sie schämte sich.
»Was…« Karmann verschluckte sich fast. »Was…?«
»Keine Bange, Lady«, sagte Harras und merkte, dass er wahrhaftig wie ein Amerikaner sprach; er machte der Unbekannten mit einem raschen Wink der linken Hand begreiflich, dass ihr keine Gefahr drohte. »Ihnen geschieht nichts, wenn Sie keinen Ärger machen. Ich habe bloß mit diesem Herrn ein paar Worte zu reden.«
Die Frau packte eine auf dem Bett liegende, zusammenfaltete Wolldecke und verbarg dahinter ihren Körper. Sie wirkte, als müsste sie gleich in Tränen ausbrechen. Harras beobachtete Karmann, der sich inzwischen halbwegs berappelt hatte. »Wo hast du ihn versteckt?«
»Bitte lassen Sie mich gehen«, sagte die Frau flehentlich und ließ den Rand der Wolldecke etwas sinken, so dass Harras ihre fein geschnittenen Gesichtszüge sehen konnte. »Bitte! Ich bin… Ich muss fort…«
»Später«, antwortete Harras und bedeutete ihr mit dem Lauf der Waffe, dass sie sich nicht bewegen sollte.
»Ich habe im Moment keine Zeit, um mich mit Ihnen zu befassen.«
Er sah Karmann an; der Photograph war weiß wie Kalk geworden. »Heraus damit!«
»Wo… kommst du denn her?« Karmann wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Beinahe verschämt legte er die behaarten Beine übereinander. Von seiner so kurz zuvor beeindruckenden Männlichkeit gab es kaum noch etwas zu sehen. Es kam ja auch nicht alle Tage vor, dass man von einem Mann besucht wurde, von dem man glaubte, er sei seit elf Jahren tot.
»Stell jetzt keine Fragen«, erwiderte Harras. Er hob die Waffe und richtete sie auf Karmanns Stirn. »Ich bin gegenwärtig reichlich nervös, alter Freund, und ich kann nicht garantieren, dass meine Hand noch lange so ruhig bleibt.« Er räusperte sich. »Deshalb keine dummen Fragen mehr. Stattdessen beantwortest du meine Fragen. Also, wo ist der Film?«
»Ja… aber…«, stammelte Karmann, als fühlte er sich völlig ratlos.
Harras’ Linke zuckte vor, packte Karmann an den öligen Haaren. Karmann heulte auf. Die Frau hinter der Wolldecke schloss die Augen. Ihre Unterlippe zitterte; beiläufig bemerkte Harras ziemlich verschmierten Lippenstift.
»Ich… habe ihn nicht mehr«, wimmerte Karmann. »Wirklich, Harras, ich…«
»Na schön.« Harras ließ ihn los. Karmanns Kopf fiel auf das Kissen. »Dann schieß ich dir was ab, was dir bestimmt lieb und teuer ist.« Er zielte mit dem Colt auf Karmanns Unterleib.
»Nein!«, schrie Karmann. »Nicht! Bist du verrückt geworden?!«
Ronald M. Hahn, wurde als „Working Class Hero“ 1948 in Wuppertal geboren, der Stadt der berühmten Schwebebahn. Er absolvierte eine Ausbildung zum Schriftsetzer und übte diesen Beruf bis 1977 aus.
Mit 17 Jahren lernte er Horst Pukallus kennen, der ihn mit diversen linken Vögeln und SF-Autoren bekannt machte, die wirklich schreiben konnten. Später, als Erwachsener, schrieb er für Geld witzige satirische und echt gemeine Geschichten, z.B. den ersten deutschen Steampunk-Roman SOCIALDEMOKRATEN AUF DEM MONDE.
Seit 1971 veröffentlichte er regelmäßig SF und andere Romane sowie zahlreiche Kurzgeschichten, drei Dutzend Jugendbücher und etwa zwanzig Sachbücher zum Thema Film (SF, Fantasy, Horror, Erotik, Charlie Chaplin, Alfred Hitchcock). Außerdem hat er nach nur fünf Stunden Englischunterricht rund 180 Bücher von Autoren wie Frank Herbert, Philip José Farmer, Christopher Priest, Jack London, Anthony Hope und Conan Doyle übersetzt.
Horst Pukallus, geb. 1949 in Düsseldorf, arbeitet ursprünglich ein Jahrzehnt lang als Versicherungskaufmann, bis er 1975 ins Metier des Schriftstellers wechselte.
In großem Umfang betätigte er sich als Übersetzer und gab zudem Anthologien heraus. Mit den Autoren Andreas Brandhorst, Ronald M. Hahn und Michael Iwoleit schrieb er gemeinsame Romane.
In den Jahren 1980, 1981, 1984 und 1985 erhielt er den Kurd-Laßwitz-Preis für die beste Übersetzung und 1991 für die beste Erzählung. Er steht in der Liste der Söhne und Töchter der Stadt Düsseldorf verzeichnet. Heute lebt er in Wuppertal. Er ist das zweite Mal verheiratet und hat zwei Enkelinnen in Frankreich.
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